Mein Leben als Pferdemädchen – Eine Verfallsgeschichte

Über meinen Lebenslauf kann ich nicht klagen. Ich war Fotomodel für Hamsterbacken, Jugendsprengmeisterin ‘94 und zuletzt Mutter eines massenproduzierten Äffchens. Gern und gründlich gebe ich mit meinen Errungenschaften an. Es gab jedoch eine Rolle in meinem Leben, über die ich bislang geschwiegen habe: Ich war ein Pferdemädchen.

Wo ich herkomme, kannte man Pferde nur mit gigantischen Hintern und quadratischen Lederbrillen; reizlose Heinos vor der Fuhre, die allenfalls von Fliegen umschwärmt wurden. In Pferde „vernarrt“ sein? Please. In Polen auf dem gemeinen Land so unvorstellbar wie Katzenklos und käufliches Hundefutter! Die Verwunderung meiner Eltern war also unendlich, als ich ihnen meine Liebe zu Pferden offenbarte und den Wunsch anmeldete, das Reiten zu erlernen.

Wie kam es zu diesem rätselhaften Verlangen? In den Tiefen meines Privatarchivs dümpelt das älteste Dokument zum Thema; die Oktober-Ausgabe der „Minnie“ (1991), eine Art Micky Maus für Mädchen in der Vorpubertät. Minnie schlägt mir, einer Viertklässlerin, ganz frech einen Beruf vor, von dem ich noch nie etwas gehört habe: Pferdezüchterin! Erfahren in der Zucht von Ranzen-Schimmel, lag der Sprung zum Gestüt für mich durchaus im Rahmen des Vorstellbaren.

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Wahre Begebenheiten bestärkten mich in meinem Vorhaben. Es trug sich nämlich zu, dass ich mich mit einem Mädchen angefreundet hatte, das neben Judo und Kinder-Yoga auch Pferdesport trieb. Der Tag, an dem sie mich auf den Pferdehof mitnahm, war der schönste meiner ganzen Grundschulzeit. Am lang ausgestreckten Arm ließ ich die viel zu großen Pferde von meiner Zitterhand Zuckerwürfel schlabbern. Ich sah meiner Freundin bei der Reitstunde zu, und danach durfte ich selbst aufs Pferd. Drei Runden an der Longe. „Die Stunde 25 Mark“, informierte der Lehrer mich nüchtern. Ich fiel zerknirscht aus dem Sattel. Mein Taschengeld variierte zwischen 50 Pfennig und 2 DM die Woche. Ich rechnete aus, dass ich mir von meinem „Jahresgehalt“ gerade mal vier Reitstunden leisten konnte. Und das Geld brauchte ich für die Zeitschriften-Trias Wendy, Conny und Lissy – und natürlich für Pferde-Sticker-Tüten. Das Album war ja noch lange nicht voll, die Pferderassen samt Herkunft, Wampenumfang und Mähnendynamik längst noch nicht alle auswendig gelernt. Und zu allem Überfluss wurde im TV gerade für eine neue Heft-Reihe namens „Pferde“ (Sammel-Ordner inklusive!) geworben, in der es richtig zur Sache ging:

Wo drückt der Huf? Wie ist ein Sattel aufgebaut? Welche Turnübungen kann man zuhause machen, um auf dem Pferderücken Pirouetten drehen zu können? Und wie heißen eigentlich all die faszinierenden Dingelhopper, mit denen man Scheiße und Dreck vom Pferd bürstet? Ich sag’s euch: sie hießen „Hufkratzer“, „Striegel“ und „Kardätsche“ und dieses Wissen gab mir nicht nur das Gefühl, die jüngste Pferdezüchterin Deutschlands zu sein. Ferne Ponys riefen nachts durch das Pferdekopf-Kissen in mysteriösen Elfenstimmen nach mir. „Wir brauchen dich! Du musst eine von uns werden!“

Pferdenarr

Obwohl ich mittlerweile regelrecht selbst zum Pferd mutierte, fanden meine Eltern kein Verständnis für mich in ihren verkümmerten Herzen. Davon zeugt dieser von dicken Tränentropfen gewellte Tagebuch-Eintrag:

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Vielleicht das Schlimmste an der ganzen Sache war, dass mein Vater mir vor nicht allzu langer Zeit eine vielversprechende Andeutung gemacht hatte.

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Zunehmend wurde ich der Familie zum Gespött. „Ein Pferd will sie haben – ahahah! – ein Pferd! Wo stellen wir das denn hin, hm? In die Badewanne vielleicht? Auf den Balkon?“ Nicht mal meine Träume von einer Karriere als Jockey ließen sie gelten. „Die Körpergröße für einen Jockey hast du überschritten als du 9 warst! Jockey will sie werden! Dieser Elefant! Bruahaha!“ Tränen liefen über meine Wangen, Tag und Nacht. Wie sollte es bloß weitergehen mit mir und den Pferden?

Nun, ich war nicht von gestern und blätterte heimlich in den Selfhelp-Büchern meiner Mutter, die alles von Louise L. Hay bis Anthony Robbins verschlang. Deshalb wusste ich: Wenn du kein Geld hast für eine Villa, kauf dir schon mal den Hammer. So sagst du deinem Unterbewusstsein, dass du es ernst meinst. Sag auch dem Kosmos bescheid, denn der Kosmos ist auf deiner Seite. Und dann such dir Leute, die an dich glauben. Zum Beispiel weil sie vier Jahre jünger sind als du und jeden Scheiß mitmachen, den die große Schwester vorschlägt. So nahm ich Kontakt zu meinem Bruder auf, mit dem bis dato nicht viel anzufangen war.  Wir bauten uns zwei Pferde aus Sofakissen, um die wir Bademantelgürtel festzurrten, das waren die Zügel. Wischmob-Aufsätze gereichten zu prächtigen Mähnen. Schlaffe Käppis der Marke „Werbegeschenk“ taugten fürs erste als Reitkappen. Als Hindernisse nahmen wir Bücherstapel. So ausgestattet konnten wir endlich Bibi Blocksberg Folge 47 – „Das Reitturnier“ – nachspielen.

So oft, wie ich diese Kassette gehört habe, hätte mir dieser ganz bestimmte Ton auffallen müssen, der da auf dem Reiterhof herrschte. Der warnende Ton der Zicke Cornelia und ihrer Freundinnen Vanessa, Melissa, Patrizia. Jener Ton der ausgrenzenden Überheblichkeit, der die Pferdemädchenszene bestimmt. Aber ich hörte ihn nicht.

Stattdessen machten meine polnischen Freundinnen und ich uns auf die Suche nach den echten Cornelias und Vanessas und bettelten würdelos um eine Anstellung als Pferdepflegerin auf ihren Koppeln. Die ließen sich nicht zweimal bitten. Wenn die dummen Aussiedler unbedingt Pferdeäpfel durch die Gegend karren wollten, bitteschön! Wir besuchten die Pferde also jeden Tag, kratzten ihnen die Hufe und misteten die Ställe aus, immer in der Hoffnung, mit einer winzigen Reitgelegenheit belohnt zu werden. „Bitte, Vanessa! Nur einmal draufsetzen!“ Aber die Vanessas und Melissas sahen gar nicht ein, warum sie uns auf ihren Pferden reiten lassen sollten. Wir *durften* dem Mist ihrer Lieblinge ganz nah sein, was wollten wir denn mehr? Und so ging auch diese Strategie nicht auf.

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In der fünften Klasse war dann Schluss mit meiner Geduld. Zum ganz persönlichen Wunsch nach Pferdenähe gesellte sich nun der Druck der Sozialisationsinstanzen. Mindestens vier Mädchen gab es in meiner neuen Klasse, die mit Gerten und Peitschen in die Schule kamen und einem Reiterhelm überm Arm. Weil sie gleich nach der Schule zum Reiten „mussten“. Dass diese Mädchen von allen Jungs ausgelacht und verarscht wurden, hatte keinen Einfluss auf mich. Schließlich las ich schon die BRAVO, ein Jugendmagazin, das die Jungs ihrer verzögerten Entwicklung wegen erst in zwei Jahren KAPIEREN würden, und da stand 1992 überdeutlich drin, dass Reiten GEIL ist.

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 Nach langem Suchen fand mein Vater endlich eine Reitschule, die nur 12 DM die Stunde verlangte. Das war immer noch irre viel für unsere Verhältnisse, aber ich schätze, dass es meinen Eltern wert war, schließlich bestand die Chance, dass mir das alles gar nicht gefallen würde, und in diesem Fall hätten sie endlich Ruhe von mir und den Pferden – für immer!

Vor der ersten Reitstunde fuhren wir ins Reitbedarf-Geschäft und kauften dort eine lange Gerte, die tolle Sausgeräusche machte, und einen Reithelm, dessen unattraktiver Kinnschutz mich ziemlich desilussionierte. Zudem hatten wir einen Kompromiss ausgehandelt. Meine Eltern würden für die Reitstunden nur aufkommen, wenn ich auf das professionelle, völlig überteuerte Reiter-Equipment verzichten würde, d.h. normale Gummistiefel statt Reitstiefel mit Sporen, und statt der Reiterhose mit schicken „Reiblappen“ an Arsch und Innenseiten nur eine etwas dickere Leggins. Dazu ein T-Shirt von C&A. Ich sah aus wie ein dahergelaufener Stallknecht, und das dürftige Outfit erfuhr keine Verbesserung dadurch, dass ich mein Haar mit einem regenbogenfarbenen „Scrunchie“ bändigte.

Zur ersten Reitstunde erschien ich mit meinem Vater, der sich gleich mit der Videokamera am Eingang zur Halle positionierte. Die Reitlehrerin verfügte über einen langen blonden Zopf und minimalistische Mimik. Ihre Wangen waren gerötet von der Strenge einer sportlichen Lebensweise und sämtliche Befehle, die sie meinem plumpen Körper erteilte, klangen nach Verärgerung und Enttäuschung. Ich spürte gleich, dass sie nie meine Mama werden würde, denn sie akzeptierte mich nicht als ihresgleichen. Das kleine Pferd, das die ganze Last meiner Ungelenkigkeit zu spüren bekam, ließ einige Äpfel fallen, mindestens zehn an der Zahl. Alles auf Video. Zuhause machten mein Bruder und ich uns einen Spaß draus, an dieser Stelle langsam zurückzuspulen und die Äpfel zurück ins Pferd springen zu lassen.

Nein, Reiten war nichts für mich, Reiten, das waren Kniebeugen zu Pferd. Ich wusste es nach der ersten Stunde, wollte mir aber keine Blöße geben, darum zwang ich mich noch einige Wochen lang zum Reitunterricht, ging die fünf Kilometer nach einem langen Schultag zu Fuß, und genoss eigentlich nur den Schluss, wenn ich das Pferd zurück in die Box führen, absatteln und putzen konnte. Mit hochrotem Kopf, einem seltsamen Ausschlag auf den Lippen, tränenden Augen und Dauerniesen wegen Heu-Allergie und gerümpfter Nase, denn wenn ich ehrlich sein sollte, roch es in den Ställen gar nicht so himmlisch, wie ich meiner dauerskeptischen Mutter immer weißzumachen versuchte.

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Der Abschied vom Hof fiel mir nicht schwer. Freundschaften hatte ich keine geschlossen, vielmehr fühlte ich mich jedes Mal wie ein lästiger Eindringling, der die eingeschworenen Zicken-Cliquen nur irritierte.

In den Sommerferien, nach meiner letzten Reitstunde, die die Reitlehrerin mit einem erleichterten Seufzer quittierte, fuhr ich auf eine Jugendfreizeit nach Frankreich, Biscarosse. Es war 1994. Ich machte Bekanntschaft mit Gruftis und Punks. Kurt Cobain war mit seinem Leben am Ende und ich mit meiner Liebe zu Pferden.

Habt ihr auch Erfahrungen als oder mit Pferdemädchen gemacht? Dann bloggt darüber!
Anne, die ihrerseits eine schmerzlich treffende Geschichte zu erzählen hat, wird alle Beiträge sammeln.
Und ich freue mich, wenn ich es soziologisch auswerten darf! :D

 

10 Kommentare


  1. // Antworten

    Sehr schöner Blogeintrag! Erinnert mich sehr an meine Kindheit, wie die meisten Texte von dir.

    Meine Pferdezeit war auch eine kurze, sogar noch viel kürzer als deine. In der Grundschule war einmal ein winziger Wanderzirkus in unserem Dorf. Die hatten neben einem gemeingefährlichen Lama auch Pferde dabei, und auf denen durften wir Kinder nach der Vorstellung eine Runde drehen.

    Was hatte ich eine Angst! Das Pony war riesig, schaukelte wie ein Schiff bei schwerstem Sturm und war auch sonst recht unbequem. Meine Karriere als Pferdemädchen war schon zu Ende, bevor sie überhaupt richtig beginnen konnte.





  2. // Antworten

    „Ich will ja dann auch Reiten lernen. Wir sind ja nicht in Russland.“

    Dabei hätte ich immer vermutet, dass gerade die Russen in Ermangelung zuverlässiger Autos reiten können.




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