Keine Diskussion ist so müßig wie die über den Wahrheitsgehalt von Klischees. „Gibt überall solche und solche“, lutsch den Hund, gähn. Etwas Neues kommt nicht dabei herum. Was ich hingegen interessant finde, ist mit den Stereotypen bisschen rumzumachen. Zum Beispiel umdrehen, spiegeln, knicken, schauen, was mit den Zuschreibungen in unterschiedlichen Umgebungen passiert. Anekdötchen aus dem eigenen Leben setze ich dabei als drittklassige Laborratten ein und eröffne mit diesem Blogpost die Kategorie „Stereotünnes“ , wo ich unter dem Deckmantel fröhlichen Blödsinns sozialkritischen Scheiß über nationale Klischees schreiben werde. Bei den Recherchen zu meinem Buch ist mir einiges untergekommen, das ich mit dem wtf-Stift kommentieren musste. Und so lesen wir heute etwas über das Gegensatzpärchen „deutsche Ordnung“ und „polnisches Wirrwarr“.
Eines Tages verfasste ich einen Tweet, er ging ungefähr so:
1989 floh meine Familie im polnischen Fiat nach Deutschland. Offiziell vor dem System, in Wirklichkeit vor Oma.
Das ist natürlich völliger Blödsinn, denn Oma Greta war voll okay. Woran ich dachte, als ich diese Sätze ersann, war ihre manchmal ins Groteske gespannte Leidenschaft für die angeblich deutscheste Tugend „Ordnung“, die ich in folgender Charakterskizze beschrieben habe:
Oma war halb Mensch, halb Besen. Sie wischte hinter jedem unserer Schritte her. Mit aggressiver Schrubbe ging sie gegen die geringsten Anzeichen von Bewegung und Veränderung vor. Ihr Glaube an die menschliche Pflicht, sich die Natur untertan zu machen, war so groß, dass sie selbst die kleinen Schatten verfluchte, die in der Abendsonne unkontrolliert auf der Wand herumtanzten. Lebewesen, die nicht wussten, wie man eine Toilette benutzt, empfand Oma als Zumutung. Tiere durften nicht ins Haus, Kinder nicht aufs Sofa. Socken, Unterhosen und Taschentücher gehörten gebügelt und wurden gewissenhaft zu kleinen Quadraten zusammengefaltet.
Meine Oma, die wohlgemerkt keine Deutsche ist, gibt es in dieser Form überall in Polen. Ich kann mich nicht daran erinnern, je irgendwo zu Besuch gewesen zu sein, wo Unordnung geherrscht hätte. Zahnpasta-Spritzer auf dem Badezimmerspiegel, Fingerabdrücke auf den Klinken, Flusen in den Ecken, Krümel in den Ritzen, Zeitungen auf dem Boden: in den meisten polnischen Haushalten wird man solche Erscheinungen nicht finden. Die Polen nennen Unordnung auch „syf“ (von Syphilis) und „burdel“ (Bordell), was darauf hindeutet, dass die Einhaltung von Ordnung über ästhetische Aspekte hinaus einen moralischen, sittlichen Wert hat. Woher dann das Vorurteil, Polen seien Chaoten?
Meanwhile in Germany… Es ist 1989 und mein Vater hält an einer Raststätte, wo er beobachtet, wie ein Deutscher den Aschenbecher über dem Asphalt leert und die Kippen liegenlässt wie einen Hundehaufen im Wald. Vater ist so schockiert, dass er die Geschichte bis heute erzählen kann. Nur schwer erholt sich meine Mutter von dem Erlebnis, bei einer Deutschen im Auto mitgefahren zu sein, das diese gleichsam als Müllcontainer zu nutzen schien. Überall McDonalds-Schachteln, Gummibärchentüten, zertretene Plastikbecher. Auch ich erinnere mich noch an die Erschütterungen, als deutsche Freundinnen mich in ihre zugerümpelten, unaufgeräumten Zimmer einluden: Hatten die denn gar keinen Anstand? Woher das Vorurteil, fragten wir uns an irgendeiner Stelle alle, die Deutschen seien Ordnungsfanatiker?
Hier, was ich rausgefunden habe: es scheint ein Innen-Außen-Problem zu sein. Polen haben es, und Deutsche auch, nur genau andersrum. In Deutschland werden auch sonntags die Bürgersteige gekehrt – bedächtig, feierlich, ein Ritual, das die identitätsstiftende Sauberkeit feiert. Die Bürokratie mag manchmal ein Stock im Arsch sein, wird aber zur Möhre, wenn man bedenkt, wie reibungslos manches dadurch abläuft, wie viel Ärger einem erspart bleibt. Ärger, von denen Polen ein Lied singen können, denn in der Welt „da draußen“ geht tatsächlich alles drunter und drüber. Ämter, Behörden, Ärzte: frag nicht nach Durchblick und Rechtmäßigkeit. Die Bürgersteige sehen zerbombt aus, Kinder vom Land fallen in Schlaglöcher, Umweltschutz war viele Jahre kein Thema und es gibt keinerlei Vorschriften, die rosa gestrichenen Betonzäunen Einhalt gebieten. Jeder tut, was er will. Das Ergebnis ist ein anstrengender Zusammenstoß von Stilen, der zuweilen sterben wollen macht. Welche Entlastung ist da die Ordnung des Eigenheims, die Überschaubarkeit, allein schon die optische Entspannung. Umgekehrt scheint es sich in Deutschland zu verhalten; die Ordnung von außen erzeugt im armen Menschlein eine Spannung, die nur durch laxe Verhältnisse in den eigenen Wänden aufgelöst werden kann. Ich zum Beispiel bin Wellness-Messie: ich hasse Krempel und sammle nichts, aber Chaos muss sein in der Bude, sonst kann ich nicht „loslassen“. Dieses Innen-Außen –Ungleichgewicht bringt nicht nur Licht in den unterschiedlichen Umgang mit Ordnung, sondern erklärt auch die Klischees. Denn natürlich sieht der Andere im Fremden erst einmal das Äußere, das öffentlich freiliegt. Und das ist in Deutschland eben Ordnung, in Polen Gruselwusel.
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Meine russische Freundin war schockiert, dass hier im „ordentlichen Deutschland“ niemand seine Hosen, T-Shirts oder Blusen bügelt.
Sie meinte, die Russen bügeln ihre Schnürsenkel.
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Und das ist nichtmal eine satirische Zuspitzung!
Allerdings erzählte @UteWeber zuletzt von ihrer deutschen Großmutter, die sich auch des Schnürsenkelbügelns rühmte. Vielleicht auch eine Generationenfrage, ich denke auch an eine größere Stabilität (fortschrittsresistenter) solcher Praktiken in ländlich dominierten Staaten wie eben denen Osteuropas.
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Dazu habe ich beizusteuern:
1. Einen spanischen Vater mit Putzfimmel (der nur von dem seiner noch in Spanien lebenden Schwester, meiner Tante übertroffen wird)
2. Die beiden polnischen Putzmänner, die seit 13 Jahren abwechselnd einmal die Woche fürs Saubermachen meiner Wohnung zuständig sind
Ein Hauptspaß ist übrigens, die nationalen Stereotype europaweit zu vergleichen – habe ich mal für ein internationales Literaturseminar gemacht. Das Iren-Stereotyp der Engländer unterscheidet sich nämlich signifikant von dem der Deutschen. Die Italiener haben ganz andere Spanier-Stereotypen als die Franzosen etc. pp.