Im fünften Kapitel weihnachtet es sehr. „Seit dem frühen Morgen drangen die herrlichsten Düfte aus der Küche und zogen verheißungsvoll durch alle Räume des Hauses. Es roch nach geschmorten Pilzen, nach Nüssen, getrockneten Pflaumen, nach Kokosflocken und geriebenem Mohn.“ Was an keiner Stelle erwähnt wird, sind die „opłatki“ genannten Oblaten, die fester Bestandteil des polnischen Weihnachtsmahls sind. Kaufen kann man das geweihte Esspapier mit imprägnierten Niederkunftsmotiven in der Kirche, auch in Deutschland werden sie im Rahmen polnischer Messen feilgeboten. Wir erhalten bis heute unsere Oblaten von Oma mit der Post, in einer aufklappbaren Weihnachtskarte. Die Oblaten werden vor dem Essen gebrochen und mit der ganzen Familie geteilt. Aus dem geriebenem Mohn werden übrigens „Makówki“ hergestellt, ein schlesisches Mohngericht mit in Milch eingeweichtem Zwieback, das es ausschließlich zu Weihnachten gibt. Und der Karpfen ist am 24. Dezember absolutes Muss. Man kauft ihn lebend und lässt ihn in der Badewanne schwimmen, bevor man ihm den Kopf abhackt. >:-(
Das folgende Foto aus meinem Privatarchiv dokumentiert eine typische Bescherung bei Leuten, die Kontakte zum Westen haben. Unter dem Weihnachtsbaum sieht es aus, als hätte jemand nen Einkaufswagen ausgekippt. Zu erkennen sind: Haribo Erdbeeren, Puddingtütchen, Backmischungen mit Orangeat und Zitronat, Bohnenkaffee, eine Dose Mandarinen, Nussschokolade… Wie man sieht, galten westliche Lebensmittel als vollwertige Geschenke, und die kleine Ola hinter dem anonymisierenden Puppenkopf schaut nicht minder ehrfürchtig in die Kamera. Jedes Jahr zur Weihnachtszeit kamen die Pakete aus Deutschland an. In den meisten Fällen waren sie bereits von Zollbeamten geplündert worden, deren Kinder schließlich auch naschen wollten. Deshalb war es nicht selten, dass im Paket nur noch Rosinen, Kokos und Mandeln übrig waren, die HARIBO-Tüten, von denen im beigefügten Brief die Rede war, suchte man dazwischen vergebens.
In „Der silberne Stern“ gelingt es Onkel Marek, Oma Greta mit einem Körbchen voll westlicher Kosmetik zu erweichen. Es darf vermutet werden, dass mindestens Fa-Seife dabei war, denn das wellenförmig geformte Stück „Luxuskosmetik“ war in Polen heiß begehrt und zum Händewaschen viel zu schade.
Stattdessen legte man es in die Wäscheschublade. So konnte es als Alternative zu Motten-Kugeln für träumerisch stimmenden Unterhosengeruch sorgen. Joanna Bator beschreibt in ihren grandiosen Roman Sandberg auch die Kulturpraxis, leere Kosmetikbehältnisse quasi-museal auf der Badewanne auszustellen.Übrigens war ein Duft besonders beliebt bei Shampoos, Seifen, Badeölen & Co: Grüner Apfel.
Für die Männer gab es weder Backzutaten noch Kosmetik unterm Weihnachtsbaum, sondern Technik! Olas Vater bekommt einen wahrlich faszinierenden Gegenstand von Onkel Marek geschenkt: Eine digitale Armbanduhr mit eingebautem Taschenrechner! Was Technik betrifft, war Polen bei weitem nicht so rückständig, wie man sich das aufgrund von „Deutsche Welle Polen“ immer vorstellt. Zwar gab es in den Achtzigern in vielen Haushalten noch Schwarzweißfernseher, aber nicht, weil es keine „in Farbä und bunt“ gegeben hätte, sondern weil man es sich schlicht nicht leisten konnte. Dass es nur zwei Programme gab, ist eine andere Sache, die allerdings auch nicht zu Fehlschlüssen verleiten sollte. Das Programm war geprägt von Kunst und Kultur, eine Art osteuropäisches, von politischer Propaganda erstaunlich unverseuchtes arte. Wir besaßen auch einen Atari und einen C64, einen Drucker und einen Videorekorder (Papa was a Rolling Nerd). Diese Dinge gab es in Polen – mit etwas Geschick und den richtigen Kontakten – durchaus zu kaufen.
In der nächsten Folge: Abenteuer Wirtschaftskrise, Suppe aus gemahlenem Roggenschrot, alles über den Fiat 126p und MickyMaus-Jogginganzüge!
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Ah, das polnische Fernsehprogramm! Habe ich das aus Ende der 80er richtig in Erinnerung, dass fremdsprachige Filme nicht synchronisiert, sondern übersetzt wurden? Und eine Frau alle weiblichen Texte sprach, ein Mann alle männlichen – praktisch ohne jede emotionale Modulation?
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Awwwww…. DU IDEALISIERST!!!! :D
Es gab nur EINEN sogenannten „Lektor“, er war grundsätzlich männlich und sprach sowohl weibliche wie männliche Rollen ohne jede Emotion. Das ist aber bis heute so! Obwohl polnische Synchronsprecher grandios sind, kommen sie nur für Zeichentrickfilme zum Einsatz. Die Polen lieben nämlich ihre monotone Lektorstimme und wollen nicht auf sie verzichten. Der Grund ist, dass die Originaltonspur ja immer noch im Hintergrund mitläuft und man die Originalstimmen hören kann. Die Rolle des Lektors ist einfach die eines Übersetzers – nicht eines Synchronsprechers, der durch sein eigenes Voice Acting das Original verfälschen könnte. Ich find’s gut.