Für die optimale kunstgeschichtliche Erfahrung empfiehlt sich das Abspielen des Audio-Kommentars bei gleichzeitiger kontemplativer Betrachtung des Bildes. Die Inhalte können auch in Textform (s.u.) konsumiert werden.
Mitschrift:
Seit uns das Fell abhanden kam, pflegen wir unsere Körper. Der Mensch – nichts als Eitelkeit und Gewäsch? Schon Aristoteles wusste: Worüber man nicht gleiten kann, darüber muss man pudern. Und heute? Sind Beautyblogs und Schminkvideos tatsächlich eine Erfindung des Internets, eine Krankheit der vernetzten Zivilisation? Auf den Schwingen der Kunst reisen wir diesmal zu den Ursprüngen reflektierter Körperpflege, in das Schönheitsgemach einer geheimnisvollen Unbekannten, die uns durchs Schlüsselloch einen Blick in ihr Badezimmer gewährt.
Alt und Neu gehen im Raum eine Symbiose ein. Zwischen Bodenfliesen mit Urzeitskrebschen und handgeknüpftem Duschvorhang-Prunk bricht sich die Moderne Bahn. Die Kloschüssel, die ihre profane Funktion hinter ausgefallenen Formen verbirgt, nimmt die beliebteste Kachelfarbe der 60er Jahre vorweg und verwandelt sich bei zugeklapptem Deckel in einen Frisiersessel mit Konsole. Das Badezimmermöbel gegenüber wurde eigenmächtig und schief zusammengeschraubt. Womöglich wollte der Künstler damit die Nachwelt vor Ikea warnen. Mit seinen Pfeilern aus Deko-Geschwür verweist der Schminktisch auf die Geringschätzung des Praktischen und den Vorrang des schönen Scheins. Dieses Badezimmer ist gewiss keine Wellness-Oase, und doch finden eine ganze Frau und ihr Modehund darin Platz. Dem Tier mit der Chabo-Frisur wurde jeder Jagdinstinkt ausgetrieben. Es hat nur ein Begehren: seinem Frauchen wohlrationierte Stücke Klopapier von der Rolle zu reißen. Dabei ist der Schwanz demütig in die Leistengegend geklemmt, an seiner statt lässt der Hundling das Klopapier-Banner baumeln. Die junge Frau zollt dem kurzlebigen Tier Respekt, indem sie es mit Leopardenfell-Moden bekleidet.
Die Abgebildete ist Hedwig B. : Ein Teenager auf der Suche nach sich selbst. Seit einer Stunde wartet sie darauf, das die weiße Föhnhaube mit den rot glühenden Signallämpchen einen modischen Lockenhaufen herausspuckt. Im unteren Bereich steckt das Haar in zwei silbernen Glätt-Röhren. Die Idee, gegensätzliche Zustände einer Frisur zu kombinieren, findet sich noch heute im schwarz-blonden Haar-Gefieder von Hühnerfrauen.
Hedwigs schminkgeiles Antliz ist voller Hingabe. Sie ist bereit, für die Schönheit zu leiden. Da ist es nur recht, dass der Künstler den Rundspiegel hinter ihr blind retouchiert hat, um uns Betrachtern und ihr selbst den Anblick eines temporär wenig ansprechenden Hinterkopfes zu ersparen. Wenn wir Hedwig nach ihren Plänen für den Abend befragen wollen, bleibt das Bild jedoch seltsam stumm. Bis wir entdecken, wie raffiniert der Künstler unter nichtssagenden Bade-Laken einen Hinweis für uns versteckt hat: Es sind die Buffalos, deren klobige Plateausohlen sich unter dem Faltenwurf deutlich abzeichnen. Die Situation ist eindeutig: Hedwig geht feiern! Mit der einen Hand schreibt sie noch ein paar Tweets für unterwegs vor, mit der anderen kratzt sie schon das Blattgold von ihrer Beauty-Bibel, in Wirklichkeit ein pfiffig integrierter Lidschatten, mit dem sie Akzente für einen glamourösen Auftritt setzt.
Gleich wird Hedwig sich ihrer problematischen Kinnpartie zuwenden. Die Schere, die auf dem Schminktisch liegt, ist gottlob nur ein prophetisches Symbol für die plastische Chirurgie, die erst im 20. Jahrhundert aufkommen wird. Noch ist das Wichtigste die richtige Körperpflege. Hedwigs Routine entspricht der Anordnung der Kosmetik auf dem Schminktisch. Erst sorgt die rote Badeperle für Wonne in der Wanne. Anschließend wird die grüne Apothekentinktur gegen Mitesser aufgetragen. Und rechts, auf einem angeberischen Sockel, steht ein Parfum-Flakon. Bevor sie das Haus verlässt, wird Hedwig einige Tropfen davon in den Kniekehlen verreiben, um im Schweiße einer durchtanzten Nacht Paarungsbereitschaft zu signalisieren. Wir hoffen, sie feiert schön. Bis zum nächsten Mal, in einer neuen Folge von Kunst für Menschen, die im Museum negativ auffallen.
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Lesen und gleichzeitige kontemplativer Betrachtung funktioniert leider nicht so gut.
MfG,
B. Kant