Hier ist wieder eine neue Folge des betreuten Lesens, der freshen Aktion zum 90s-Roman Minigolf Paradiso, den der WDR5 persönlich als „genau das Richtige für den Sommer“ bezeichnet hat! Also, wenn ihr es noch nicht habt, HIER könnt ihr es erwerben. Alternativ geht ihr zum Buchhändler eures Vertrauens und macht ein Riesentheater, wenn er es nicht auf Lager hat!
Im 13. Kapitel haben Aldi und Malina die magische Schwelle zur ehemaligen DDR überschritten. Aldi, der nicht auf sich sitzen lassen will, dass seine Enkelin an der Existenz von Kobolden zweifelt, lenkt den Mercedes zu einem Gesteinsgebilde im Harz, das Teufelsmauer genannt wird. Übrigens sieht es dort so aus:
Nachdem sie ein Stück gegangen sind, kommt ihnen ein Bela B.-artiger Typ entgegen, dessen Alter Malina auf ca. 25 schätzt.
„Er hat langes, windzerzaustes Haar und unter seiner Lederjacke lugt ein Motörhead-Shirt hervor. (…) Er trägt spitz zulaufende Schlangenlederstiefel und sehr viel Silberschmuck an den Händen und seit er da ist, riecht es nach altem Leder, Patschuli und Nelkentabak.“
Fun Fact: Dieser Typ ist in meinem Schulbus mitgefahren. Als er Abi gemacht hat, war ich 13 oder 14 und er und noch ein paar andere Leute aus seinem Jahrgang waren meine erste Begegnung mit dem Konzept jugendlicher Subkulturen. In dieser Stufe wimmelte es nur so vor Metallern, Wavern und Hippie-Gothics. Viele von ihnen waren begeisterte Besucher des Pinkpop Festival – das findet bis heute in Holland statt und in den 90ern haben dort u.a. gespielt: Nick Cave and the Bad Seeds, The Mission, PJ Harvey, Soundgarden, Pearl Jam, etc.
Hier zur Erheiterung ein Metal-Pärchen aus der DDR (Quelle: BRAVO-Reportage):
Metal und Goth waren eigentlich „Bewegungen“ aus den 80s, bei den Teenies der frühen 90er waren sie bereits zu (ungefährliche) Moden herabgestuft worden. Als ich in das Alter derer kam, die eine solche Anziehungskraft auf mich ausübten, hatten die Zeiten sich schon wieder gewandelt. Grunge war nach nur drei Jahren irgendwie over. Lange Haare kamen aus der Mode und wurden nur noch von „eingefleischten Metal-Freaks“ (Zitat BRAVO) getragen. Andere „Alternative“ stylten sich die Haare zu unsäglichen NuMetal-Hörnchen oder zwirbelten sich Filzwürste auf die Birne. Und was war aus den Punks der 70er geworden? Ein Verkleidungsspiel für Wohlstandskinder! Jedes Wochenende fuhren sie nach Düsseldorf, trugen T-Shirts von Green Day, WIZO und NOFX. Kauften sich im legendären Punkerladen Pick Up Haarfarben von Directions und legten noch hundert Mark für Schnallenhosen hin. Danach ne Dose Hansa Pils auf dem Hauptbahnhof zischen und aus Albernheit ein paar Leute anschnorren, während aus dem mitgebrachten Kassettenrekorder „Du bist nur ein Opfer des Kapitalismus!“ schepperte. Fertig war die Reihenhaus-Anarchie! :D
Bei der Metal-Clique, die Malina an der Teufelsmauer antrifft, handelt es sich um Jugendliche, die natürlich auch der gängigen Jugendsprache mächtig sind. Wie hat man damals gesprochen? Wenn man meine Briefe und Tagebucheinträge von damals als Quelle nimmt, stößt man ständig auf die plumpe Wendung „boah ey“. In einem unbekannteren Song von TicTacToe heißt es: „B-b-b-boah ey, that’s my way, ey. Ich weiß, wo ich steh, ey, Mann, ich liebe meine Pumpgun!“ :D Wenn schon nicht „boah ey“, dann wurde hinter jeden Satz ein einfaches „ey“ gesetzt. „Ich hab keine Kohle, ey. Schnorr mich nicht an, ey.“ In meinem Tagebuch taucht übrigens ein Synonym für schnorren auf, das mir gewissermaßen ein Rätsel ist: kötten. „Ich hab mir ne Kippe geköttet.“ Kennt das jemand? Oder heißt das sowas wie gönnen? Die Angewohnheit, jeden „Alter“ zu nennen, bzw. das Wort unabhängig vom Geschlecht und auch losgelöst von seiner inhaltlichen Bedeutung zu gebrauchen, also letztlich als Füllwort, ist glaub ich auch so ein 90s Ding.
Was ist eine Jugend ohne Kaugummi? Nichts. Das Kauen stellt einen rebellischen Akt dar, eine Umkehrung der Ess-Etikette, ähnlich der rückwärts aufgesetzten Baseball-Kappe und der verkehrt herum getragenen Baggyjeans (vgl. die Hip-Hop-Zwillinge KrisKross). Schon damals hat es den Streit mit Lehrern gegeben: sich den Kaugummi im Unterricht verbieten lassen oder auf seiner konzentrationssteigernden Wirkung beharren? Unter den Peers konnte man sich mit der Wahl seines Kaugummis natürlich genauso gut abgrenzen wie mit der Füller- oder Zigarettenmarke. In meiner Wahrnehmung bestand eine Konkurrenz zwischen Big Red und Juicy Fruit-Kauern. Big Red ist übrigens der Kaugummi, den der rothaarige Metaller Hauke sich im 13. Kapitel in den Mund knüllt. Ich persönlich fand den Zimtgeruch, der aus manchem Maul drang, unerträglich und favorisierte die krachig gelben, in der Aussage jedoch erschreckend harmlosen Juicy Fruit Streifen.
Natürlich gab es Kaugummi in allen erdenklichen Formen. Unvergessen bleibt HubbaBubba mit seiner schier unerträglichen Saftigkeit. Die Teile schmeckten so intensiv süß, dass ich Zahnschmerzen bekam, bevor die Masse blasentauglich wurde. Dieser Kaugummi war zwar Bombe, eignete sich jedoch nicht so gut, ihn unter Tische und Stühle zu kleben. Daneben gab es (und gibt!) – vor allem für die Jüngeren, denk ich – Kaugummi aus der Tube und Knisterkaugummi, der aus kleinen Brocken in Knisterbrause bestand. Das bedeutet, dass es auf der Zunge kräftig krachte, knallte und brizzelte, bevor sich der Kaugummi im Mund formierte.
Nach Einbruch der Dunkelheit überqueren Aldi und Malina schließlich die Grenze. „Nutten gibt es hier aber keine“, stellt Malina fest. Außerdem fahren sie – dem Schengen-Abkommen sei Dank – einfach rüber, ohne dass jemand nach ihren Papieren fragt. Das war Anfang der 90er noch ganz anders. Polen in den ersten Jahren nach Zusammenbruch des Systems war ein gruseliges Faszinosum und ich würde alles tun, um nochmal in diese Zeit zurückreisen zu können. Eine Fahrt zu Oma war 1991 und in den Folgejahren jedes Mal wie eine Überfahrt in die Schattenwelt. Es staute sich an den Grenzübergängen. Immer. Wartezeiten von 3-5 Stunden waren einzuplanen. Dass man sich der Grenze näherte, merkte man ganz schnell an den Nutten, die in Scharen ihre Dienste anboten. Zwischen ihnen hockten Pilz-Menschen, also Leute mit Körbchen voller Pilze, die sie an den Mann bringen wollten. Es wimmelte ebenfalls von jungen Männern in Jogginganzügen, die dir entweder die Windschutzscheibe putzten (natürlich ungefragt) oder mit Zigarettenstangen wedelten. Es war eine Sozial-Safari sondersgleichen. Die Welt hinter der Grenze stand im krassen Kontrast zur deutschen Sauberkeit, zum deutschen Wohlstand. Schlammige Schlaglöcher, verrußte Häuser, dreckige Straßenschilder, etc.
Im Motel, wo Aldi und Malina schließlich einkehren, bezeichnet Malina ihre Oma aufgrund ihrer magischen Aktivitäten als David Copperfield. Nach Siegfried und Roy war der geheimnisvolle Mann mit dem aladdinesken Aussehen DER Illusionist schlechthin. Die Menschen rissen sich darum, ihn „live“ zu sehen, seine Shows waren noch beliebter als „River Dance“. Da war die Freude groß, als ausgerechnet Claudia Schiffer, deutsches Model von Weltrang, seine Ehefrau wurde. Eine Story wie ein Disney-Märchen, die – wie die meisten Märchenstories im Show-Biz – nicht lange hielt.
So, liebe Chiquitas. Jetzt habe ich wie immer ein paar Fragen an euch:
Wer war dein Traumpaar der 90er Jahre?
Kannst du dich an die Jugendsprache deiner Zeit erinnern?
Welcher Kaugummi-Typ warst du?
Und welche jugendliche Subkultur hatte es dir angetan?
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Traumpaar der 90er? Beavis & Butt-Head, wer sonst?
Seltsamerweise, kann ich mich kaum an eigene Jugendsprache erinnern. Wir sprachen wohl eher Dialekt gemischt mit Hochdeutsch. Was aber neu war, war Denglisch. Viele Begriffe aus der EDV kamen aus dem Englischen, wir übernahmen sie. Nicht weil wir mussten, sondern weil es einfach praktisch war. Einmal behandelte unser Deutschlehrer diesen kurzzeitigen Trend, wie er meinte, sogar im Unterricht. Er hatte sich ein Computerheft besorgt und zitierte amüsiert aus dem, was er für Kauderwelsch hielt. Allerdings war er dann sehr überrascht, als er feststellen musste, dass ein Großteil seiner Schüler mit Begriffen wie Ram, Floppy Disk, CPU usw. tatsächlich etwas anfangen konnten.
Kaugummi war für mich damals eher Juicy Fruit. Juicy Fruit gab es nämlich häufig an Kiosken, dort investierte man als Kind bevorzugt seine liquiden Mittel. Es gab dort sogar dann noch Juicy Fruit, wenn Double Mint und Spear Mint schon lange vergriffen waren. Big Red hingegen gab es zumindest in den frühen 90ern nicht im Handel in Deutschland – zumindest nicht in meiner Gegend . Big Red war daher selten und oft das typische Mitbringsel einiger weniger Austauschschüler, die die Neue Welt bereist hatten.
Meine Subkultur war die der Nerds. Nerds hießen damals aber noch nicht Nerds, sondern Computer-Freaks.