Wie ich wegen Ada Blitzkrieg anfing zu trinken

It was a dark and stormy night. Seit ich 2005 in Marburg aufgeschlagen und mit den Worten „Hier bleibt niemand lange allein!“ begrüßt worden war, hatte ich das Haus nur zum Studieren verlassen, und mit Studieren meine ich Soziologie, und mit Soziologie meine ich gekrümmte Typen mit Hundefrisuren, vor deren Kapitalismuskritik mir grauste, war Coca-Cola doch wie eine Mutter für mich. Das Leben war also recht trostlos, obwohl ich 2009 von glücklichen Umständen mein erstes uneheliches Smartphone empfing. Die Freude an der Vogelstimmen-App war nur von kurzer Dauer, dafür hatte ich nun hier und dort lose Kontakte zur virtuellen Welt. Ich war gerade dabei, mir aus dem Aschenbecher was Schnelles zu zaubern, als eine junge Frau namens @brainqueen ihren Besuch in der Stadt ankündigte. Aus Langeweile aneinander gingen wir in ein Café.

„Kennst du eigentlich…“ zwitscherte sie lieblich, „Bäng-Po-weh-weh-weh-weh? Ich weiß nicht wie man das ausspricht.“

„Qué?“ Ich schwitzte, war total überfordert.

„Bängpoooooh…weh! Auf Twitter! Die Alte ist so krank! SO KRANK!!!“

In Kreisen, die mich akzeptierten, bedeutete das damals so viel wie „super“. @brainqueen patschte mit ihrem E.T.-iPhone-Finger auf dem Display herum und präsentierte mir die Twitterin, an deren verraucht-dumpfen Blick aus überdimensionaler Honecker-Brille ich mich noch heute erinnere wie andere Leute an ihre Koordinaten am 11. September. Wieder in der Sicherheit meiner kahlen Wände näherte ich mich vorsichtig den Tweets der verschrobenen Krokette – nur um feuchter Augen festzustellen, dass sie wirklich „krank“ war. Diese junge Frau aus Berlin war nicht Teil einer Prenzelberger Hausbau-Gemeinschaft, sondern träumte davon, in einem ausgeweideten Wal ein Spielcasino zu eröffnen. Ein zur Hälfte schwarz angemalter Rettich gereichte ihr zur FreeWilly-Actionfigur. Sie genoss es, mit Straßenschuhen im Bett zu sitzen. Die Dinge in ihrem Fokus triggerten mich ins Reich meiner zugeschütteten Phantasie. Noch am selben Abend wanderte ich seltsam lebensdurstig zur Tanke und kaufte mir mein erstes Dosenbier.

Was mich an @bangpowwww am meisten begeisterte: Sie war originell. Nicht wie die Leute, die sich gern als Charlotte Roche von VIVA2 verkleiden. Nicht wie die Penner, die jeden Blogeintrag mit „Eigentlich…“ beginnen. Sondern wirklich so herausstechend eigen, dass @mogelpony, der folgenswerteste Twitterer Deutschlands, die Feststellung machte, @bangpowwww sei vielmehr ein Genre.

2012, kurz vor Weltuntergang, hat Ada Blitzkrieg (bürgerlicher Name) ihren ersten Roman veröffentlicht. DACKELKRIEG:Rouladen und Rap.

Wäre die Johannes-Apokalypse heute entstanden, Adas dicht bewachsener Schädel wäre der Schauplatz, und darin wimmelte es von ihren Missgeburten: Von mannshohen weißen Dobermännern, muskelbepackten Glatthaarspacken, Fischen mit geilen Blasemündern und 1,85 m großen Wellensittichen. Die Hure von Babylon trüge allerlei Köpfe, z.B die von Mutter, den Kiosk-Frauen und Dr. Best inkl. „Schwingkopf“. Ajaja, Coco Jambo. Selbst ich will auf diese Party! Ansonsten geht es um eine Jugend in den 90ern, die so mitreißend, skurril und skandalös erzählt wird, dass man es nicht wagt, auch nur einen Satz zu überspringen. Und obwohl jedes einzelne Kapitel Gag-Dichte-mäßig sättigt, wollte ich mich dringend überfressen und verschlang das Ding am Stück. dackelblitz-400-0

Ada schrieb das Buch ohne Verlag und veröffentlicht es als E-Book bei Amazon. Meine Erfahrung ist, dass diese Publikationsform nur wenigen gut bekommt. Die Texte sind zu schlecht für einen Verlag und werden nicht gerade dadurch aufgewertet, dass der Autor Comic Sans Terif als Titelfont wählt. Bei Ada ist es umgekehrt. Sie ist zu gut für einen Verlag. Denn die Verlage setzen in Sachen Unterhaltung auf „Bewährtes“, also Abgedroschenes, Altbekanntes, Durchschnittliches, im besten Fall ist der Stoff „ähnlich wie…“ oder passt in ein bestimmtes Segment, oder wird eben entsprechend passend gemacht. Das könnte sehr traurig sein, gäbe es nicht Menschen, die so mutig sind wie Ada und ihren zauberhaften Rotz trotzdem raushauen im Vertrauen, dass die Leser nicht so langweilig sind wie die Statistiktorten der Marktforschung und genau das schätzen, was ich als ihr herausstechendstes Markenzeichen empfinde: ihre Unvergleichbarkeit. Das Buch kostet 3,99€ und es macht schon wegen des fairen Preises Spaß, es zu laden. Probiert es aus!

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