Aloha! Betreutes Lesen gibt’s erstmals im Dreierpack,weil die 90er-Referenzen mit fortschreitender Handlung immer rarer gesät sind. Ich aktiviere nun hiermit auch den SPOILER-ALARM. Wer nicht gespoilert werden möchte, holt sich das Buch jetze!!!
Malina und Aldi sind unterwegs durch die Nacht, um Geld aufzutreiben. Aldi hält an einem Spielplatz und beginnt, aus einer Vitraletten-Schachtel einzelne „Tabletten“ zu klopfen, um sie in einem Plastiktütchen verschwinden zu lassen. Vitraletten waren Traubenzuckerpastillen, die besonders durch den Slogan „Lutsch dich fit“ im Gedächtnis geblieben sind. Man bekam sie für wenig Geld an der Supermarktkasse, wo sie in der Nähe von HubbaBubba ihrer Vertilgung harrten.
Malina dämmert, was Aldi mit den harmlosen Traubenzuckerpastillen vorhat. Er will sie rumlungernden Teenagern als „Exzessi“ (sic!) andrehen! Was LSD für die 70er war und Kokain für die 80er, das war die Techno-Droge Ecstasy für die 90er Jahre. Gefühlt jeder zweite BRAVO-Report handelte davon, wobei man im Rückblick fragen kann, ob diese Berichte eher warnenden oder einladenden Charakter hatten. Wer sich Ecstasy einwarf, konnte die ganze Nacht durchtanzen, hieß es. Natürlich waren wir damals zu jung, um in Clubs reingelassen zu werden, in denen „die ganze Nacht getanzt“ wurde. Außerdem hieß das damals noch „Disco“.
Aldi besitzt ein paar modische Requisiten, mit deren Hilfe er sich bei der Jugend anbiedern möchte. Dazu gehört eine Kappe von den Chicago Bulls. Coole deutsche Jungs, die was auf Street Credibility gaben, trugen Kappen, Mützen, Jacken und Kapuzenpullover von amerikanischen Basketball-, Baseball- und Eishockeymannschaften. Ob sie wussten, für welchen Sport „Chicago White Sox“ und „Anaheim Mighty Ducks“ überhaupt standen, ist zweifelhaft. Ich habe mich immer gefragt, was amerikanische Austauschschüler von dieser deutschen Mode halten würden. Jedenfalls war ich mir sicher, dass ein deutscher Austauschschüler in Amerika wahrscheinlich nicht auf Kids in Bayern München Trikots treffen würde.
Mir persönlich gefiel der Yankees-Merch am besten. <3
Kommen wir nun, nachdem Aldi und Malina doch die ein oder andere zusammen geraucht haben, zum Thema Zigaretten. Aldi raucht Lord Extra, die ultimative Kaffefahrt-Zigarettenmarke für Menschen ab 60. Er könnte aber auch HB rauchen oder Camel. Erst im Rückblick fällt mir auf, dass es für jedes Alter die passende Marke gab und es ein Zeichen von krasser Individualität war, wenn man etwas anderes rauchte als die Peers. Zum Beispiel WEST. Das war die Marke für Menschen ab 30. Eltern rauchten West. Meine Marke war Marlboro (light), weil es die Zigarette war, mit der ich „eingestiegen“ bin. Zugegeben nicht die distinguierteste Wahl und vergleichbar damit, Fan von Bayern München zu sein. Wer sich selbst als alternativ empfand, rauchte lieber Gauloises, „Liberté toujours“. Typisch 90er ist auch, wie akzeptiert das Rauchen war. Bestimmt 80% meiner Klasse haben geraucht. Heute dürften es nur noch 20% sein an den Schulen. Ich habe den Eindruck, dass nur noch in der Unterschicht und im Künstlermilieu geschmaucht wird. Das Narrativ „Unkonventionelle Menschen rauchen“ ist unausrottbar. Leider.
Die zwei Halunken, die ihren Großvater überfallen, erinnern Malina an die Viren-Chefs aus „Es war einmal… das Leben“. Eigentlich eine Serie aus den 80s, aber sie lief die ganzen 90er über im deutschen Fernsehen und bleibt unvergessen.
Malina ist überfordert von der kindischen Art ihres Opas. Sie weiß nicht, wie sie mit ihm umgehen soll. „Emotionale Intelligenz wäre jetzt nicht schlecht“, denkt sie und hat gleich den Mega-Bestseller von Daniel Goleman im Kopf. Ein psychologischer Schmöker, der das Wort „Empathie“ fest im Wortschatz der Menschen verankert hat. Und dieses quadratische Pfannkuchengesicht vergesse ich nie. Was haben die sich nur dabei gedacht!?
Opa Aldi versucht, Malina für eine sehr dumme Idee zu gewinnen. Er bietet ihr zum Tausch für ihre Komplizenschaft seine Telefonkartensammlung an, „keine doppelten, nach Erscheinungsjahr geordnet!“ (Die Briefmarken der 9oer!)
Telefonkarten sind der Dekaden-Zeitmarker schlechthin. Anfang der 90er ging es damit los (Ich erinnere mich an einen Telefonkartenspruch von 1990: „Schluss mit der Drei-Groschen-Oper!“ stand drauf, und bezog sich auf die 30 Pfennige, die man zum Telefonieren immer aus seinen Taschen hervorkramen musste.), Ende der 90er hatten die meisten Menschen bereits ein Handy und Telefonzellen wurden immer weniger genutzt. Heute sind sie dem Verfall preisgegeben oder werden kreativ umfunktioniert, z.B. zu Bücherschränken.
Als Malina sich aus dem muffigen Kleiderdepot ihres Großvaters ein paar Sachen zum Umziehen rausgesucht hat, kommt sie „zum verschollenen Mitglied der Kelly Family verwandelt“ hinter dem Wohnwagen hervor. Sprich, sie trägt ziemlich verschrobene Hippie-Fummel.
Die große Popularität der Kelly Family kann man nur als PHÄNOMEN bezeichnen. Eine musizierende Großfamilie, die den gängigen Schönheitsidealen und Pop-Sehgewohnheiten kaum entspricht, singt sich mit sehr simplen Folksong-Schlagern an die Spitze der Charts und sorgt für massenweise kreischende Teenies: Wtf? Auch ich war ihnen kurz verfallen, aber mein Gott, ich war 13. Es begann mit dem Gerücht, dass eine total angesagte Band auf dem Marktplatz in Grevenbroich ein kostenloses Konzert geben würde. So hat es mit den Kellys angefangen. Kostenlose Konzerte, bis wirklich jeder sie kannte. Keine schlechte Strategie! Meine Freundin und ich sind aus Langeweile dann hin. Paddy kannte ich bereits aus einer gerade laufenden BRAVO-Foto-Love-Story. Auf dem Konzert schrie ich meiner Freundin ins Ohr, dass ich „die Paddy“ ganz toll finde. Klar fand ich die Paddy toll. Sie hatte nichts Tussiges an sich, sie strahlte sehr viel Selbstbewusstsein aus, ihre Haltung war beinahe männlich tough, das zog mich an. Bis sich ein Mädchen vor uns umdrehte und mich ankeifte: „PADDY IST EIN JUNGE!!!“ Tja.
Wart ihr auch Fans von den Kellys? Habt ihr Telefonkarten gesammelt? Was habt ihr so geraucht und euch eingeworfen? Welche Bestseller aus den 90ern fallen euch spontan ein? Tell me!