Betreutes Lesen – Kapitel 4

Willkommen zum Betreuten Lesen (?) – dem freundlichen Service zum Nostalgie-Roman Minigolf Paradiso. Auch das vierte Kapitel wird euch wieder Bruchstücke eurer Jugend vor den Latz knallen.

Ich schleppe eine große Lebenslüge mit mir herum und hier und jetzt bringe ich sie endlich zum platzen: Meine erste CD war weder Songs of Faith and Devotion von Depeche Mode noch Die Bestie in Menschengestalt von den Ärzten. Das erste Album, das ich mir in der CD-Abteilung eines Großsupermarkts kaufte , hieß Dance with me und war von DJ Bobo. Und dieses Album wurde es nur, weil mein Vater mir Raveland von Marusha und das Debut von Mark’Oh verboten hatte. DJ Bobo war ein Kompromiss, etwas, das er gerade noch so als Musik erkennen konnte. Ja, meine Liebe zu Techno oder das, was ich dafür hielt, hatte es in unserem Hause nicht leicht. Vollends vorbei war es, als ich die Maxi von Doop (YouTube) mit nach Hause brachte. Meine Eltern hätten mich wohl ins Heim gesteckt, wenn ich das Machwerk nicht einer Freundin geschenkt hätte, deren Eltern mit Schwerhörigkeit gesegnet waren.

Im vierten Kapitel muss die introvertierte Malina, deren Lieblingsbands The Smiths, Joy Division und The Smashing Pumpkins sind, ausgerechnet auf eine Kirmes. „Aus den Boxen scheppert derselbe schrottige Techno wie jedes Jahr“. DJ Bobo lässt grüßen! Hier ein paar „Songs“, die sich in meine Kirmes-Erinnerungen eingebrannt haben. Fun Fact: Zum Teil läuft das Zeug immer noch auf dem Wiener Prater!

Culture Beat – Mr. Vain



Whigfield – Saturday Night

Mr. President – Coco Jambo

Reel 2 Real – I like to move it

E-Rotic – Max don’t have Sex with your Ex

Red Nex – Cotton Eye Joe

Kaum hat Malina die Suche nach ihrem verschollenen Großvater aufgenommen, wird sie von ihrer Freundin Natascha erkannt. „Auf ihrem knallgelben, bauchfreien Shirt prangen eine Erdbeere und der futuristische Schriftzug RADIOACTIVE.“ Shirt-technisch ist Natascha ein Opfer der Raver-Mode: Knallige Farben, Space-Fonts, plakative Motive und keine Scheu vor Kunststoff, Gummi, Kunstfell & Co. Absolutes MUST zu einem flippigen Outfit war ein Minirucksack. Im großartigen Blog Vongestern könnt ihr die Mode von 1997 – in diesem Jahr spielt unsere Story! – bald lachend, bald weinend beäugen.

Untenrum sieht’s bei Natascha nochmal anders aus. Da folgt sie ganz der Proll-Mode der Zeit: Sie trägt sogenannte Schnellfickerhosen von adidas, die unten ein Stück aufgeknüpft werden, damit sie locker über die Buffalos (klobige Plateauschuhe) schlabbern. Wem dieser Anblick nichts sagt, hat die 90er nicht miterlebt:

BuffaloFashion

Verbleiben wir ruhig noch ein Weilchen bei Natascha. Es gibt noch mehr zu holen, und zwar in ihrem Gesicht. Dort hat sie offensichtlich einen Pickel mit Silber-Edding übermalt, damit er wie ein Piercing aussieht. Mitte der 90er kamen Tätowierungen und Piercings massiv in Mode. Zuvor hatten Ringe jenseits des Ohrläppchens nur als Schmuck der Rocker und „Sadomaso-Szene“ gegolten, Tätowierungen hingegen waren Labels, die Kriminelle auf ihrem Körper trugen, als Erinnerung an den Knast. Doch plötzlich waren sie überall. Das Stigma bröckelte. Die Popularisierung von Tätowierungen verlief parallel mit der Kommerzialisierung alternativer Musikkultur. In der BRAVO gab es Abzieh-Tattoos als Extra, die den Original-Tattoos von Metal-, Grunge- und Punkband-Mitgliedern nachempfunden waren. Mit den Jahren wurden sie immer dekorativer, tribal-esker. Und natürlich war auch das Piercing „zum Anklippen“ ein sommerlicher Dauerbrenner in der BRAVO-Girl. Ich habe es für euch getestet und kann nur sagen, dass der Ring riesig ausfiel und nirgendwo hielt. Also ging ich dazu über, mir indische Bindis zwischen die Augen zu pappen, während meine mutigeren Freundinnen sich für viel Geld zunächst den Bauchnabel und dann den Nasenflügel durchbohren ließen. Wenn ich das Wort „Piercing“ höre, habe ich automatisch die eitergelben Pflaster vor Augen, die sie abzogen, um mir ihr Initiationsmal zu zeigen. ;(

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Nataschas Atem riecht nach Kleiner Feigling. In meiner Jugend war der Feigenwodka im Miniformat das ultimative Einsteigergesöff. Alkopops gab es damals noch nicht, das Bier schmeckte nicht gut genug, um sich damit besaufen zu können, Wein war für Erwachsene. Aber der kleine Feigling erfüllte alle unsere Bedürfnisse: Er brannte kurz aber schmeckte gut, war so klein, dass man ihn in der Innentasche der Jeansjacke verschwinden lassen konnte und wenn man drei getrunken hatte (bei manchen reichte einer), war man gut angeheitert und ready to party. Eine gute Alternative zum kleinen Feigling war das Zitronenlikörchen ZackZack. Die „Weiber“, die etwas mehr auf sich hielten, betranken sich an Wochenenden mit dem cremigen Bailey’s. Mein Tipp: Holt euch einen Feigling aus dem Supermarkt und schnuppert daran. Es setzt eine assoziative Zeitreise in Gang, die kaum mehr aufzuhalten ist!!!

kleiner_feigling_2

…Und dann ist es soweit. Malina findet ihren Großvater. Er plappert in eine Telefonatrappe, die ein Mobiltelefon darstellen soll. So sah das archaische Handy aus!! (u.a. zu bewundern in Serien wie „Friends“ oder „Saved by the Bell“ (Foto).

zach

Malinas Großvater ist Losverkäufer. Mit einem Mikrofon steht er an seinem Stand und gibt dumme Sprüche von sich, um Kunden anzulocken. Unter anderem: „Is cool män!“
Das ist aus einer Werbung für Minzschokolade von Milka, die so großen Anklang fand bei Groß und Klein, dass zeitnah eine Technonummer draus wurde.

Der exzentrisch wirkende Mann hat an seiner Losbude viele Hauptpreise im Angebot: Zwischen den üblichen Riesenbären, Kuschelschlangen und Herzen mit langen Pfoten baumelt ein ganz besonderes Ungetüm: die gelbe Plüschhand Rolf. Dabei handelte es sich um ein Maskottchen der Deutschen Post. Rolfs Aufgabe war es, nach der Wiedervereinigung für die neuen Postleitzahlen zu werben bzw. die Kunde von den kommenden Veränderung beim Volk zu verbreiten. Ja, es ist möglich, Fremdscham für eine Zeichentrickfigur zu empfinden!


Die Post hat übrigens keine Mühen gescheut und konnte Rudi Carell für ihre RTL-Show gewinnen. In Die Post geht ab (YouTube) drehte sich alles um die neuen Postleitzahlen!

Welche euch wichtigen Kirmes-Smash-Hits habe ich vergessen? Sind eure Piercing-Löcher schon zugewachsen? Womit habt ihr euch betrunken? Wann hattet ihr euer erstes Handy? Und vor allem: Wisst ihr noch eure alte Postleitzahl? 

Bis zum nächsten Mal!

4 Kommentare


  1. // Antworten

    1992, von nix ne Ahnung, aber schon auf dem Rummel abhängend: Wir kamen am Breakdancer vorbei und da war so ein unglaublich krasses, hartes Lied und eine Freundin rief „Coool, Techno!“ Und ich erzähle meinem Bruder zu Hause stolz: „Wir haben Techno gehört!!!!“ Er hat mich dann aufgeklärt, dass es nicht nur ein Techno gibt, sondern ganz verschiedene. Das gehörte war U96 – Das Boot. Darum ist das mein wichtigster Rummel-Smash Hit. Irgendwann hat sich dann „Kirmestechno“ als herabwertender Begriff herausgebildet, aber wenn man noch nicht in die Disco konnte, war der Rummel die richtige Anlaufstelle. Der Umbruch kam dann, als ich irgendwann mal was von Scooter gehört habe und ich war schon ein wenig in der „Szene“ drin. Dann wurde mir der Rummel von einem Augenblick auf den anderen zu kindisch. Da gab es keine Entwicklung. Zack, „ich will hier weg“.

    Betrunken haben wir uns mit literweise Berentzen „Saurer Apfel“. Der erste Schluck kostete immer eine riesige Überwindung, aber die nächsten zwei großen Flaschen waren toll. Außerdem palettenweise das Billigbier Haake Beck Export und später dann Oettinger. Hugo Personaldebatte Ehrlich hat da vor Jahren mal eine tolle Seite aufgetan: Die Oettinger Fan Songs. Anspieltipp: Der Punk Song.

    Mit meinem ersten Handy (Nokia 3210) verbinde ich das prolligste Gimmick, das ich überhaupt je besessen habe: Eine neongrün-transparente Werbehandyschale für Bacardi Breeze :D Das war soo geilo.

    Und meine Postleitzahl lautete 2400 Lübeck 14. Diese Ziffer am Ende war irgendwie was besonderes, was nur wenig Städte hatten. Ich wollte was dazu finden, kam aber nur bis zum Wikipedia-Lemma Kuriosa.


    1. // Antworten

      Die Ziffer am Ende hatten meines Wissens alle Städte, die groß genug waren als dass eine Postleitzahl nicht eindeutig genug war, bzw. so die Bezirke schon mal vorsortiert werden konnten (Köln hatte z.B. 5000 als PLZ). Das hat sich ja dann mit den fünfstelligen Postleitzahlen erübrigt, weil da eben eine Stadt mehrere Postleitzahlen haben konnte.


  2. // Antworten

    The Smiths, Joy Division und The Smashing Pumpkins: das ist verdammt nochmal ein exquisiter Musikgeschmack, der mich auch heute noch anerkennend nicken lässt!


  3. // Antworten

    hahaha wie geil :D An die Buffalo-Schuhe kann ich mich noch sehr gut erinnern, weil ich als Kind auch unbedingt solche Schuhe haben wollte, aber meine Mama hat es mir damals nicht erlaubt (worüber ich damals natürlich todunglücklich war) und heute bin ich einfach nur wahnsinnig froh, dass sie mich davor bewahrt hat, SO herumzulaufen!! Piercings habe ich jedoch dafür heute um so mehr ;-)

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